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„Die Stadt sollte wie ein Förster planen“ – Interview mit Jürgen von Kietzell

11. August 2021

Generalanzeiger vom 22.02.2021 von Philipp Königs

Interview | Bonn. Der Bonner Architekt und Vorstandsmitlied des Verbands BDA Jürgen von Kietzell plädiert für eine achtsame Bodenplanung. In Buschdorf schlägt er deshalb eine dichtere Wohnbebauung vor. Die Frage stellt sich aber immer wieder: Was ist der richtige Umgang mit dem begrenzten Platz?

In der vergangenen Woche hat der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter eine Debatte ausgelöst, nachdem er in einem Spiegel-Interview die Sinnhaftigkeit neuer Einfamilienhäuser in Zweifel gezogen hatte. Sie kreiste um die Frage, wie eine moderne Stadt aussehen sollte und in welchem Maße sie wachsen könnte und sollte? Der Bonner Architekt Jürgen von Kietzell, Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Architekten Bonn/Rhein-Sieg (BDA), spricht im Interview über den Wert von Böden und erklärt, warum er eine Besiedlung, wie sie zunächst im Buschdorfer Baugebiet Rosenfeld geplant war, ablehnt. Die Fragen stellte Philipp Königs.

Beginnen wir mit dem Rosenfeld: Die Politik will das Baugebiet neu ausschreiben lassen, womit ein Wunsch des BDA in Erfüllung geht. Was störte den Bund Deutscher Architektinnen und Architekten an den Ursprungsplänen?

Jürgen von Kietzell: Es handelt sich um eine der letzten großen Flächen im städtischen Eigentum. Die Planung war in verschiedener Hinsicht nicht mehr zeitgemäß. Überwiegend niedrige Einfamilienhäuser, zu wenige geförderte Wohnungen und eine Planung, die zu viel Fläche für Straßen versiegelt. Die Bodenflächen sind ein nicht nachwachsendes Gut. Wir sollten achtsam damit umgehen und angesichts steigender Mieten und knappem Wohnraum mit städtischem Boden im Sinne der Stadtgesellschaft wirtschaftlich umgehen.

Sie schlagen also eine höhere Bebauung vor?

Von Kietzell: Auf weniger Fläche kann mit einer vergleichbaren Dichte wie in der Bonner Südstadt deutlich mehr Wohnraum geschaffen werden. Etwa vier bis fünf Geschosse – das schont die Ressource Boden und wirkt der Gentrifizierung entgegen. Die bisherige Planung sah eine stark befahrene Magistrale vor, auf der sich die Autos zu den Einfamilienhäusern bewegten. An dieser Straße waren die geförderten Wohnungen geplant, die Einfamilienhäuser standen in der ruhigen Umgebung mit einzelnen Straßen. Diese Hierarchie ist nicht mehr zeitgemäß. Auch das Pkw-orientierte Mobilitätskonzept mit der Straße bis vor die Tür sollte kritisch überdacht werden. So könnte ein Parkhaus zentral die Autos aufnehmen und die Mehrfamilienhäuser quasi auf dem „grünen Land“ stehen. Viel weniger Straßen bei mehr Wohnraum und weniger Versiegelung. Außerdem wäre ein solches Konzept energetisch vorteilhaft, wenn wir das Thema klimaneutrale Stadt ernst nehmen wollen.

Warum diese Arbeit nicht privaten Bauinvestoren überlassen?

Von Kietzell: Ein Bauinvestor hat den monetären Gewinn im Auge. Das ist nichts grundsätzlich Schlechtes. Aber es geht hier um städtische Grundstücke. Hier bietet sich die besondere Chance, soziale, ökologische, experimentelle Wohnformen zu fördern. Der Gewinn könnte bei der Stadt bleiben. Warum sollen nicht Baugemeinschaften oder die überwiegend städtische Vebowag oder sonstige konzeptionell interessante Anbieter einzelne Grundstücke in Erbpacht übernehmen? Dann hätten unsere Nachkommen in 50 oder 100 Jahren weiterhin die Möglichkeit, Einfluss auf die Stadtgestaltung zu nehmen. Die Stadt sollte mit ihrem Boden umgehen wie ein Förster, der auch über sein Leben hinaus planen muss mit seinem Wald.

Sie unterstützen also die Pläne, über eine Stadtentwicklungsgesellschaft Flächen selbst zu entwickeln?

Von Kietzell: Wir sind als BDA seit geraumer Zeit der Meinung, dass eine Stadtentwicklungsgesellschaft, die selbst Flächen ankaufen und damit gestaltend umgehen kann, sehr vorteilhaft für eine Stadtplanung wäre, die den Namen verdient. Zusätzlich würden wir offene Wettbewerbe begrüßen, damit ortsansässige Architekten teilnehmen können.

Die Stadt hat vor zwei Jahrzehnten 2500 eigene Wohnungen verkauft, um den Haushalt aufzubessern. Halten Sie diese Entscheidung für einen Fehler?

Von Kietzell: Rückwirkend ist das sicher ein Fehler gewesen. Es war nur ein Strohfeuer für den Haushalt. In der Folge war es ein Beitrag, dass die Mieten steigen und durch Wohngeldunterstützung der Sozialhaushalt der Stadt belastet wird. Wer macht dabei den Gewinn? Auch hier ist die Chance vertan worden, in Zukunft selbst gestalten zu können.

Die Stadt hat sich in der Vergangenheit allerdings nicht gerade als eloquenter Vermieter herausgestellt, gerade was die Instandhaltung betrifft.

Von Kietzell: Dann wird man der Verwaltung durch private Dienstleistungsanbieter helfen können. Aber langfristig bleibt es vorteilhaft.

Was wäre der Vorzug einer Stadtentwicklungsgesellschaft angesichts der wenigen Flächen, über die die Stadt noch verfügt?

Von Kietzell: Es ist tatsächlich spät für eine solche Gesellschaft. Durch gezielte Ankäufe könnte sie dabei helfen, die alten Bebauungspläne, die teilweise noch aus der Adenauerzeit stammen, weiterzuentwickeln und den veränderten Anforderungen anzupassen.

Können Sie beurteilen, ob die Unterbesetzung im Bonner Planungsamt bei Bebauungsplänen noch durchschlägt?

Von Kietzell: Es gibt noch immer einen Personalmangel, wie ich im Stadtplanungsamt erfahren konnte. Die Entwicklung alter Bebauungspläne, auf die wir als BDA seit Jahren drängen, gleicht mehr einer Perlensuche. Man versucht, einzelne Grundstücke nachzuverdichten. Für die Zukunft wäre sehr wichtig, diese Arbeit an den Bebauungsplänen zu forcieren, damit eine Innenverdichtung mit Weitblick erfolgen kann und die Stadtplanung nicht von Projekt zu Projekt entschieden werden muss. Denn wie soll das erwartete Wachstum gelingen? Nach einer Mitteilungsvorlage der Stadt Bonn wird ein Bevölkerungswachstum in Bonn bis 2040 um 12,1 Prozent erwartet, also ein Anstieg auf rund 365 000 Einwohner geschätzt.

Wie also kann eine Stadt wachsen? Muss sie es überhaupt?

Von Kietzell: Die Antwort kann bei der begrenzten Ressource Boden nur bei einer besseren Verdichtung und Höhe der Bebauung liegen. Auch die Mobilität muss, nicht nur aus diesem Grund, weiterentwickelt und Verkehrswege neu verteilt werden. Ob im Projekt Rosenfeld oder im Wohnpark Vilich II – es sollte im Bewusstsein der Begrenzung gehandelt werden. Die Erschließung neuer Baugebiete ist ja angesichts von Frischluftschneisen, Artenvielfalt, Schutzgebieten und Stadtklima nur begrenzt möglich.

Ist damit ein Bedarf von 1000 Wohnungen pro Jahr zu decken?

Von Kietzell: Es gibt Potenziale neben der angesprochenen dichteren Bebauung auch bei den Leerständen. Wir haben uns beim BDA mit dem leerstehenden ehemaligen Landesbehördenhaus beschäftigt und uns Lösungen überlegt, die auch in unterschiedlichen Wohnnutzungen lagen. Aber auch im Kleinen gibt es Leerstände, die auch teilweise in öffentlicher Verantwortung liegen. In Tübingen ist der OB dagegen proaktiv vorgegangen – mit Erfolg! Da wir den Abriss von Gebäuden aus energetischen Gründen immer kritischer sehen müssen, läge hier sicherlich ein Potenzial in der Umnutzung und Erweiterung bestehender Bauten.

Sie meinen die Einbeziehung des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes?

Von Kietzell: Wir haben als BDA Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land entwickelt: „Das Haus der Erde“. Darin wird die Forderung aufgestellt, Gebäude nicht nur nach dem unmittelbaren Energieverbrauch zu beurteilen, sondern den gesamten Prozess von der Herstellung bis zur Wiederverwertung in die Betrachtung einzubeziehen.

Wir sprachen eben bereits über Mobilität: Welche Anforderungen stellen Sie an ein modernes Quartier?

Von Kietzell: Nehmen wir den Rahmenplan Bundesviertel, also die Langzeitplanung für eine Nachverdichtung im ehemaligen Bundesviertel. Das Planungsbüro Cityförster aus Hannover hat eine Entwicklung vorgeschlagen mit Mobilitätshubs, also kleinen Umsteigebahnhöfen an Verkehrsdrehkreuzen wie in Ramersdorf, an denen das Verkehrsmittel gewechselt werden kann: für Einpendler vom Auto zum Fahrrad oder zur Seilbahn. Es scheint sehr plausibel, die Autos an strategischen Punkten aus der Stadt zu halten und mit sinnvollen Alternativen weiterzukommen. Dafür müsste sich auch der öffentliche Nahverkehr verbessern. Mit dem Konzept, Fahrzeuge in Sammelgaragen zu parken, würde auch Baulandpotenzial entstehen: Die Forderung nach dem Stellplatzschlüssel erschwert häufig eine Bebauung.

Was halten Sie von alternativen Wohnformen?

Von Kietzell: Wir haben ja in Bonn bereits gute Beispiele für neue Wohnformen durch Genossenschaften und Baugemeinschaften: Nehmen Sie die Wahlverwandtschaften, Amaryllis in Villich oder auch hier im ehemaligen Karmelkloster in Bonn Pützchen. Es gibt viele Menschen, die danach suchen. Einige dieser Modelle bieten die Chance, der Gentrifizierung entgegenzuwirken. Genossenschaften können den überteuerten Weiterverkauf solcher Wohnungen verhindern und die Mieten stabil halten. Baugemeinschaften mit unterschiedlichen Konzepten, die per Erbpacht Grundstücke der Stadt erhalten, entwickeln sich bundesweit. Die Abgabe von Grundstücken nach dem besten Konzept, das wäre angesagt.

Manche sprechen schon von Gängelei und Sozialismus?

Von Kietzell: In dem Schlagwort steht der Begriff „Sozial“. Wir erleben eine tendenzielle Spaltung der Gesellschaft durch zu hohe Mieten und Kaufpreise. Wenn junge Menschen sich ohne Erbe keine Bleibe schaffen können, dann ist es das Gegenteil von Sozialismus.